Was ist Imprinting? Und was hat das mit künstlicher Befruchtung zu tun?

Imprinting und Methylierung

Vielleicht haben manche im Rahmen einer Kinderwunschbehandlung schon einmal den Begriff „Imprinting“ gehört. Für die meisten bleibt das, was sich dahinter verbirgt, jedoch ein Rätsel. Bevor ich zu dem Zusammenhang zur Kinderwunschbehandlung komme, hier eine etwas vereinfachte Erklärung:

In einem Embryo verschmilzt das genetische Material von Mutter und Vater. Dabei ist in aller Regel jedes Chromosom doppelt vorhanden, einmal von der Mutter, einmal vom Vater. Auf diesen Chromosomen sitzen die jeweiligen Gene. Das ist insofern sehr praktisch, als dass vom kompletten Erbgut eine Art Sicherheitskopie besteht, die vor spezifischen Erkrankungen schützt. Auf der anderen Seite können sich die doppelten Gene auch in die Quere kommen. Daher findet unmittelbar nach der Befruchtung eine Prägung statt, bei dem eine Genkopie aus- oder angeschaltet wird – das Imprinting. Ein wichtiger Begriff in dem Zusammenhang ist die sogenannte DNA-Methylierung. Das ist quasi der chemische Prozess, der dafür sorgt, dass Gene aktiv sind oder stumm geschaltet werden. Wichtig zu verstehen ist, dass diese Methylierung ein ganz normaler Vorgang ist, der bei uns allen passiert. Anders als bei einer Mutation verändert sich nämlich nicht die Erbsubstanz an sich. Das beste Beispiel für eine solche Stummschaltung ist das doppelte X-Chromosom bei Frauen. Davon muss eines abgeschaltet werden, es kann aber, wenn auf dem anderen ein Schaden entsteht, theoretisch wieder aktiviert werden. Einige dieser Imprinting Prozesse sind nämlich reversibel (nicht aber bei spezifischen Defekten, s.u.).

Sehr selten geht bei diesem Prozess auch etwas schief. Dann kann es sein, dass entweder beide Gene aktiviert oder beide stumm geschaltet werden. Oder auf dem aktivierten Gen ist ein Fehler und das stumm geschaltete Gen kann nicht wieder aktiviert werden. Zwei der bekannteren Imprinting-Erkrankungen entstehen durch einen fehlerhaften Abschnitt auf Chromosom 15. Ist das väterliche Gen aktiv und davon betroffen, entsteht das Prader-Willi-Syndrom. Betroffene Kinder zeigen oft Lernbeeinträchtigungen und Defizite in der Motorik. Außerdem haben sie ein übermäßiges Hungergefühl und werden dadurch fettleibig.

Wenn der entsprechende Abschnitt auf dem mütterlichen Chromosom fehlerhaft ist, spricht man vom Angelman-Syndrom. Diese Kinder sind oft in ihrer körperlichen und geistigen Entwicklung verzögert und haben insbesondere in der Lautsprachentwicklung erhebliche Defizite. Auch Hyperaktivität ist ein typisches Symptom. Erkrankungen dieser Art sind bisher nicht heilbar, treten aber tatsächlich sehr, sehr selten auf.

Was hat das ganze nun aber mit einer Kinderwunschbehandlung zu tun?

Es besteht der Verdacht, dass Imprinting-Defekte gehäuft bei Kindern auftreten, die durch eine IVF oder ICSI entstanden sind. Das ist aber erst einmal kein Grund zu erschrecken, denn diese Defekte sind insgesamt nur extrem selten. Außerdem ist die Forschungslage uneindeutig und man kann nicht mit Sicherheit sagen, dass diese Probleme häufiger auftreten.

Während manche Studien klar von diversen Imprinting Problemen bei einer hohen Zahl von künstlich erzeugten Embryonen ausgehen (wohlgemerkt nicht unbedingt bei lebend geborenen Kindern), finden andere keinerlei Unterschiede zwischen natürlich und künstlich gezeugten Kindern. Hier ist es gar nicht so einfach, einen guten Überblick zu bekommen. Meine Darstellung nimmt daher auch nicht in Anspruch, der Weisheit letzter Schluss zu sein. Zu unklar und komplex ist das Thema. Eines scheint aktuell unbestritten: Durch eine IVF/ICSI kommt es zu Veränderung der Mythelierung. Man findet also andere Imprinting Prozesse. In vielen Studien wird dann von „Defekten“ gesprochen. Aber was das dann für das jeweilige Kind bedeuten könnte, erklären diese Studien eben nicht. Ja, bei Kindern, die durch IVF/ICSI gezeugt wurden, treten manche Probleme rund um Schwangerschaft und Geburt vermehrt auf. Die Kinder sind im Schnitt im weiteren Leben aber genauso gesund, wie alle anderen Kinder auch. Nur, weil man Veränderungen findet, heißt es also nicht, dass daran etwas falsch ist und eine gesundheitliche Konsequenz hat. Das ist alles nicht erforscht.

Was denkbar wäre ist, dass diese Veränderungen der Mythelierung erklären, warum auch bei perfekter Embryonenqualität aus einem erheblichen Anteil der befruchteten Eizellen kein lebendes Kind entsteht. Auch einige der Komplikationen rund um Schwangerschaft und Geburt, könnten unter anderem in Imprinting Prozessen ihre Ursache haben. Doch auch da tappt man bisher im Dunklen.

Wenn es um konkrete Erkrankungen geht, ist die Studienlage ebenfalls nicht befriedigend. Aktuelle Studien deuten darauf hin, dass manche Erkrankungen, die durch Fehler im Imprinting entstehen, nach einer künstlichen Befruchtung häufiger auftreten. Dazu gehört insbesondere das extrem seltene Beckwith-Wiedemann-Syndrom (BWS). Dabei handelt es sich um ein Syndrom, das sich insbesondere durch ein überschießendes Wachstum und dadurch entstehende Asymmetrien des Körpers führt. Auch bestimmte Fehlbildungen und Tumore kommen häufiger vor. Dadurch sterben manche dieser Kinder im frühen Kindesalter. Die motorische und geistige Entwicklung der Kinder ist hingegen in aller Regel normal. Das BWS bildet sich im Laufe der Kindheit langsam zurück, sodass die Kinder, die das 8. Lebensjahr erreichen, in aller Regel eine gute Prognose haben.

Bei der Beurteilung des Risikos muss man allerdings sagen, dass dieses Syndrom so extrem selten ist, dass das individuelle Risiko für jedes Kind, das durch IVF/ICSI gezeugt wird, verschwindend gering ist. Um das in Zahlen auszudrücken: In der Allgemeinbevölkerung tritt das Syndrom in maximal 0,00007% der Fälle auf. Nach künstlicher Befruchtung „erhöht“ sich das Risiko auf etwa 0,0001%. Es muss auch betont werden, dass alle Studien, die sich den Zusammenhang zwischen dem BWS und IVF/ICSI angeschaut haben, methodische Schwächen haben. Die Studien, die es bräuchte, um einen solchen Zusammenhang zweifelsfrei nachzuweisen, sind aufgrund der Seltenheit des Syndroms so umfangreich und komplex, dass bisher keine davon existiert. Alle Studienergebnisse sind nur Annäherungen. Es ist also auch denkbar, dass man irgendwann feststellt, dass gar kein erhöhtes Risiko besteht.

Der Vollständigkeit halber sei noch erwähnt, dass neben dem BWS auch Hinweise auf das häufigere Auftreten des oben genannten Angelman-Syndroms und des Silver-Russel-Syndroms gibt. Letzteres ist durch eine durch Minderwuchs und spezifischen körperlichen Merkmalen gekennzeichnet. Auch die motorische und geistige Entwicklung können, müssen aber nicht verzögert sein. Hierzu ist die Studienlage aber noch uneindeutiger und die Syndrome so selten, dass man sagen muss, dass es schlicht nicht klar ist.

Vielleicht noch eine Randbemerkung: Wir haben uns immer gegen eine Blastocystenkultur entschieden, weil es Hinweise gab, dass Imprinting-Probleme dort häufiger auftreten. Nach meiner aktuellen Recherche lässt sich diese Vermutung nicht stützen. Das Imprinting findet vor allem unmittelbar nach der Befruchtung statt und damit bei der IVF/ICSI sowieso im Reagenzglas.

Insgesamt ist es einfach ein komplexes Thema, bei dem die nächsten Jahre hoffentlich mehr Klarheit bringen. Die Recherche zu diesem Thema hat mich wirklich viel Zeit gekostet, weil es so schwierig ist, einen guten und ausgewogenen Überblick über die Studienlage zu bekommen. Was dabei für mich deutlich wurde: Stand heute kann man weder sagen, das Imprinting sei ein Problem, noch, dass es keins ist. Tatsache ist, dass Kinder Zeugen immer mit Risiken verbunden ist, egal, wie sie entstehen. Und ja, künstliche Befruchtung erhöht manche dieser Risiken. Imprinting-Defekte sind jedoch so extrem selten, dass sie kaum ins Gewicht fallen. Wissen sollte man dennoch darum, gerade, wenn eine IVF/ICSI nicht zwingend notwendig ist, um ein Kind zu bekommen.